Hunderegelung in Niedersächsischer
Gefahrtierverordnung
für nichtig erklärt
In der niedersächsischen Verordnung
über das Halten gefährlicher Tiere werden zwei Kategorien von Hunden unterschieden.
Das Halten, die Zucht und die Vermehrung der ersten Kategorie von Hunden, zu denen
Bullterrier, American Staffordshire Terrier und Pit Bull Terrier sowie Kreuzungen dieser
Hunde gehören, ist verboten. Für vorhandene Hunde wird eine Ausnahmegenehmigung
erteilt, wenn der Hund einen Wesenstest bestanden hat, die Haltung sicher ist und der
Halter über die persönliche Eignung und die notwendige Sachkunde verfügt.
Hunde, die den Wesenstest wegen eines außergewöhnlichen Aggressionspotenzials
nicht bestehen, müssen getötet werden. Das Bestehen des Wesenstests führt
zu näher bestimmten Anforderungen an die Haltung und Führung des Hundes;
außerdem ist er unfruchtbar zu machen. Die in einer Liste aufgeführten Hunde
der zweiten Kategorie, zu denen auch Dobermann und Rottweiler, nicht aber etwa der
Deutsche Schäferhund zählen, müssen außerhalb von Privatwohnungen
und ausbruchsicheren Grundstücken mit Maulkorb versehen und angeleint sein. Nach
bestandenem Wesenstest können davon Ausnahmen genehmigt werden.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat auf Normenkontrollanträge von Hundehaltern
hin mehrere Regelungen verworfen. Es hat insbesondere das Haltungsverbot von Hunden
der ersten Kategorie zum Zweck der Gefahrenabwehr nicht für erforderlich gehalten
und in den Regelungen für die Hunde der zweiten Kategorie einen Gleichheitsverstoß
insoweit gesehen, als Rottweiler und Dobermann, nicht aber der Deutsche Schäferhund
erfasst sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts im
Ergebnis bestätigt und die grundlegenden Regelungen der angegriffenen Verordnung
für nichtig erklärt. Der Verordnungsgeber war ohne ausdrückliche Ermächtigung
durch den Landesgesetzgeber nicht befugt, in der geschehenen Weise allein an die Zugehörigkeit
von Hunden zu bestimmten Rassen anzuknüpfen. Nach den vorliegenden Feststellungen
besteht für bestimmte Rassen derzeit zwar der Verdacht, dass von ihnen erhöhte
Gefahren ausgehen. Es ist jedoch in der Wissenschaft umstritten, welche Bedeutung diesem
Faktor neben zahlreichen anderen Ursachen Erziehung und Ausbildung des Hundes,
Sachkunde und Eignung des Halters sowie situative Einflüsse für die
Auslösung von aggressivem Verhalten zukommt. Ein bloßer Gefahrenverdacht
rechtfertigt kein Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung
auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung. Vielmehr müssen
Eingriffe der staatlichen Verwaltung in die Freiheitssphäre hier der Hundehalter
zum Zweck der Gefahrenvorsorge nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in einem
besonderen Gesetz vorgesehen sein. Es ist Sache des Landesparlaments, den Eigenarten
der Materie entsprechend und unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der
betroffenen Bevölkerungskreise die erforderlichen Rechtsgrundlagen für eine
Gefahrenvorsorge zu schaffen, d.h. gegebenenfalls die Einführung von Rasselisten
selbst zu verantworten. Ein derartiges Gesetz liegt in Niedersachsen nicht vor.
Trotz der Nichtigerklärung bleibt der notwendige Schutz der Bevölkerung vor
den von Hunden ausgehenden Gefahren in Anbetracht der vorhandenen Mittel vor allem
des Strafrechts und des allgemeinen Sicherheitsrechts gewahrt. Die Befugnis der Landesgesetzgebung,
einen weiter gehenden Schutz im Sinne einer Gefahrenvorsorge zu betreiben, wird durch
die vorliegenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht berührt.
Auf die im Hinblick auf den Gleichheitssatz gewichtigen Bedenken dagegen, dass der
Verordnungsgeber es unterlassen hat, seine Regelungen namentlich auf den Deutschen
Schäferhund zu erstrecken, kam es für die Revisionsentscheidungen nach dem
Gesagten nicht mehr an.
BVerwG 6 CN 5.01, 6.01, 7.01, 8.01 - Urteile vom 3. Juli 2002
Quelle: http://www.bverwg.de/presse/2002/pr-2002-21.htm |