
|
Sarah - Eine Liebeserklärung an den Kuvasz
Einen Kuvasz besitzt man nicht - man lebt mit ihm.«
Dieser Ausspruch trifft es ziemlich genau. Ein Kuvasz ist etwas Besonderes. Ein Wesen,
dass sich nur sehr schwer in enge Grenzen einzwängen lässt. Und wenn doch
- dann nur aus Liebe zu seiner Familie.
Wie kommt man zu einem Kuvasz?
Nun, einige potentielle Hundekäufer kennen die Rasse, hatten schon mal einen Kuvasz,
oder in der Familie bzw. in der Bekanntschaft gab es einen.
Andere wiederum finden sein Äußeres so anziehend, sprich »er ist so
schön, so süß«, dass sie gar nicht widerstehen können -
sie wollen ihn haben.
Dann gibt es natürlich noch die, die ihr Hab und Gut in sicherer und wachsamer
Hand bzw. Pfote wissen wollen.
Tja, und da gibt es dann noch die anderen, die die mehr oder weniger durch Zufall oder
Trauer und Verlust auf den Kuvasz kommen. So wie wir.
Wenn man über vierzehn Jahre lang Hundebesitzer ist - zwei mittelgroße,
rabenschwarze kecke Kerlchen, die auch noch Vater und Sohn waren - dann trifft es einen
besonders hart, wenn beide in relativ kurzem Abstand von nur sieben Monaten sterben.
Der eine aus Altersschwäche, der andere wahrscheinlich, weil er ohne seinen Papa
und Gefährten nicht mehr leben konnte.
Kennen Sie dieses furchtbare Gefühl eines Hundeliebhabers? Diese Leere?
Sie haben das dringende Bedürfnis, nach Hause zu müssen, weil der Hund ja
noch raus muss. Und dann, einen Moment später, erinnern Sie sich wieder: Da ist
keiner mehr, der wartet. Nie mehr!
Sie müssen nicht mehr hinter sich gucken, ob da eventuell eine Hunderute eingeklemmt
wird, wenn Sie zu schnell die Tür hinter sich schließen wollen.
Sie brauchen auch keinen Streifzug mehr durch die Tierabteilung im Supermarkt zu machen.
Niemand mehr da, der schwanzwedelnd neben einem in der Küche steht, einen breit
angrinst und darauf giert, dass man endlich die Dose aufschraubt.
Endlich könnten Sie all das tun, was man sich in den vielen Jahren verkniffen
hat: Nächtelange Parties ohne schlechtes Gewissen, dass der Hund ja noch mal pieseln
muss. Oder die kurzen Wochenendtripps - mal nach Paris oder London oder so... Keinen
Nachbarn suchen, der den Hund netterweise mal für´n paar Tage in Pflege
nehmen könnte.
Und doch - ist es wirklich das, was man sich da wünscht?
Die vielen Tränen, die man vergießt, weil »sie« nicht mehr da
sind. Das fröhliche Wedeln, die dunkelbrauen, mandelförmigen Augen, das freche
Grinsen. Noch nicht mal die Sorgen, die sie einem bereiten konnten. |
|
|
Ist das wahre Liebe
Tja, und so kann man dann irgendwie nicht weitermachen.
Ständig heulend. Da ist der andere Hundebesitzer, den man denn immer auf den »Gassi«-Spaziergängen
traf, und der jetzt ganz irritiert fragt: »Wo ist denn Sascha? Wo ist denn Ihr
kleiner Django?« Und dann fehlen einem wieder die Worte, man schluckt, und die
Tränen sind schon wieder da.
So geht es nicht weiter. Wir waren auch schon am Tag nach Djangos Tod im Tierheim.
Vielleicht wartet ja da eine kleine wedelnde Maus genau auf uns und schaut einen an
mit diesem »Nimm-mich-mit«-Blick.
Aber kein Hund, bei dem wir gesagt hätten: »Das ist er!«, wartete
im Tierheim auf uns.
Traurig fährt man dann nach Hause. Dort ist wieder diese Stille.
Mein Papa kam am selben Tag zu Besuch. Und sagte: »Fahrt doch mal nach Stürzelberg.
Dort komme ich jeden Mittag an diesem Haus vorbei. Und da im Garten sind immer diese
süßen Hundebabies mit ihrer großen weißen Mutter. Da sind wohl
noch Welpen abzugeben.«
Kennst Du die Rasse?«, haben wir gefragt. »Nö, aber geht doch
mal gucken«, sagte er und gab uns Anschrift und Telefonnummer.
Ein Rassehund? Und dann auch noch richtig groß? Wir waren sehr unschlüssig.
Aber dann riefen wir doch dort an.
Ganz unverbindlich. Wir wollen nur mal gucken. Das war unser Vorhaben. Für diesen
Freitagabend hatten wir auch noch Karten für »Holliday on Ice«. Also
fahren wir »kurz« mal bei diesem Haus mit Garten und den vielen weißen
Hundebabies vorbei.
Ein nette ältere Dame öffnete uns die Tür und bat uns hinein. Hunde
konnten wir noch keine sehen. Nur ein paar Wassernäpfe. Und Spielzeug. Für
Hunde.
Sie führte uns ins Wohnzimmer, und dort konnte man einen Blick auf die Terrasse
werfen. Draußen, hinter der Glasscheibe, stand ein großer weißer
Hund. Damals haben wir zum ersten Mal einen Kuvasz gesehen.
Live - und in Farbe« wie man so schön sagt.
Diana. Eine große, weiße, Kuvasz-Dame mit lockigem Fell. »Diana vom
Felsenmeer« wie man uns dann erklärte.
Nach dem ersten netten Vorgespräch mit der Züchterfamilie, wobei wir auch
unseren Verlust erzählten, ließ Frau Goltz die große Diana ins Wohnzimmer.
Ein wahrhaft umwerfender Auftritt, der dann folgte. Diana rannte durch die Terassentür,
und ehe ich mich versah, wurde ich auch schon von ihr abgeknutscht. Ihr großen,
ausdrucksvollen dunklen Augen strahlten mich an. Und dieses Lächeln... Umwerfend.
Bei Martin war sie zurückhaltender. Nicht dieses Geknutsche, sondern ein vorsichtiges
Beschnuppern. Sie hat ihm dann aber doch die Hand geschleckt.
Tja, und so saßen wir dann da. Das Züchterehepaar, wir beide und diese riesengroße
Hündin namens »Diana«.
Wir unterhielten uns, und ich glaube, ich wurde noch nie so genau unter die Lupe genommen
wie dort. Nun, die Frage nach meiner Schuhgröße wurde nicht gestellt. Aber
ansonsten mussten wir unser Leben und Interesse an einem Kuvasz schon ziemlich ausbreiten.
Es war wie ein Vorstellungsgespräch. Und wir stellten uns innerlich die Frage:
Sind wir die richtigen? Werden wir in den erlauchten Kreis derer, die einen Kuvasz
ihr Eigen nennen, aufgenommen?
Und wo sind denn nun diese Hundebabies? Wir hatten noch immer keinen gesehen. |

|
|

|
|

|
Ja, und dann kam sie! Diana wurde rausgeschickt
und ein kleines weißes Wesen mit Pudelmütze kam misstrauisch herein. Diese
Augen! Mandelförmig und so sanft.
Amara hieß die Kleine, wobei ich mit »klein« assoziierte, dass sie
immerhin schon so groß war, wie Sascha und Django als ausgewachsene Hunde.
Und irgendwie war sie einfach »anders«. Ich hätte es damals nicht
in Worte packen können, und heute, wo sie eine große erwachsene Dame ist,
kann ich es immer noch nicht.
Dieser erste Kontakt ihrerseits war zurückhaltend und misstrauisch. Nicht der
wilde, wuselnde Welpe, der alles und jeden anknabbert und sagt »Hallo, hier bin
ich!«. Sie war ganz Dame. Klein, etwa zwölf Wochen alt, aber schon ganz
die große Dame, irgendwie »erwachsen«.
Eigentlich waren wir ein wenig enttäuscht, gerade weil sie nicht so zutraulich
war, wie man sich so einen Welpen eben vorstellt. Und ganz unbewusst haben wir sie
natürlich auch verglichen mit den beiden anderen, die jetzt nicht mehr da waren.
Es dauerte auch bestimmt eine halbe Stunde, bis sie sich dann endlich anfassen und
kraulen ließ. Dieses Welpchen wusste schon damals ganz genau was es wollte, und
was es nicht wollte.
Sich von Fremden begrabbeln lassen, gehörte jedenfalls nicht zu den Dingen, die
sie wollte.
Wir saßen fast drei Stunden in diesem Wohnzimmer und unterhielten uns. Und eigentlich
wollten wir ja noch zu »Holliday on Ice«. Als wir uns dann endlich verabschiedeten,
hatte die Vorstellung schon begonnen.
Auf der Fahrt dorthin rätselten wir. War das ein Hund für uns? So groß?
Und so teuer! Ein Rassehund. Aber eine doppelte Portion im Vergleich mit Sascha und
Django.
Wir waren hin und her gerissen. Und so waren unsere Gedanken auch während der
Vorstellung mehr mit diesem seltsamen weißen Wesen beschäftigt als mit den
Künstlern auf dem Eis. |
|
|

|
|

|
Bis Sonntag hatten wir uns Bedenkzeit
ausbedungen. Ein Rassehund. Noch dazu ein so großer. Und viel Geld ist es auch.
Sascha war ja schließlich auch nur ein Tierheimhund gewesen. Und ein toller dazu.
Und Django war sozusagen »Eigenproduktion« bzw. Betriebsunfall. Bei beiden
waren daher »kaum Anschaffungskosten angefallen«.
Wir waren unschlüssig. Hin und her gerissen. Aber sie ging einem nicht mehr aus
dem Kopf.
Diese Augen!
Wie könnte man diese Hündin nennen? Namen schwirrten durch den Sinn. »Amara
zum weißen Flöckchen.« Nein, Amara geht nicht, eine Silbe zu lang,
damit kann man nicht schimpfen. Aber »Sarah«, das würde passen. Das
würde auch zu ihr passen.
Nehmen wir sie überhaupt? Oder doch lieber den USA-Urlaub, den Martin immer schon
machen wollte.
Und dann riefen schließlich wir doch noch Samstag Abend in Stürzelberg an
und sagten: »Wir nehmen sie.«
Sonntag Mittag fuhren wir wieder hin. Sie warteten schon auf uns. Sozusagen »gestiefelt
und gespornt«.
Wir bekamen ein richtiges »Rund-um-glücklich-Paket« mit Halsband,
Leine, einem Lieblingsspielzeug, Hundefutter und Leckerchen, Kaufvertrag mit Ahnentafel
und Ernährungshinweise und und und. Sogar die Mitgliedschaft im KVD (Kuvasz-Vereinigung
Deutschland) war schon mit drin. |
|
|
Wir waren aufgeregt. Natürlich.
Die Zeit der Tränen hatte ein Ende. Waren es wirklich erst vier Tage seit Django...?
Es kam uns endlos lange vor.
Aber jetzt war »Sie« da! »Sarah« - Amara zum weißen Flöckchen.
Ob »Sie« auch aufgeregt war? Fort von ihrer Mama, weg aus dem großen
Haus mit Garten und Terrasse, weg von Züchter-Frauchen und -Herrchen.
Nun, dann wollen wir mal mit dem Autofahren anfangen. Ob das klappt? Django wurde leider
immer schlecht im Auto. Hoffentlich kotzt mir Sarah nicht gleich auf den Schoß!
dachte ich.
Aber so zurückhaltend sie auch bei unserer ersten Begegnung war, so schnell war
sie im Auto drin und kuschelte sich auf dem Rücksitz an mich.
So klein und propper mit ihrem roten Halsband und der »Pudelmütze«
guckte sie zuweilen neugierig aus dem Fenster. »Autofahren ist toll!« stand
in diesen dunkelbraunen Mandelaugen und hat sich bis heute nicht geändert.
Und dann kamen wir zuhause an. Misstrauisch aber neugierig lugte Sarah aus dem Auto.
Kenn ich nicht. Ich weiß auch nicht ob ich hier bleiben will. Erst mal untersuchen.
Na ja, wir sind dann mit Sack und Pack und Sarah zum Haus und wollten hinein.
Nein! Halt! Das kenn ich nicht, da geh´ ich nicht rein! Fünfzehn Kilo Klein-Kuvasz
konnten sich ziemlich kräftig gegen die Leine stemmen. Okay, es kostete einige
Mühe, bis wir sie schließlich ins Haus bugsiert hatten.
In der Wohnung angekommen, war dann auch alles in Ordnung. Sarah untersuchte jedes
Zimmer ganz genau und schlabberte schließlich aus ihrem neuen Wassernapf in der
Küche.
Wir, die frischgebackenen Eigentümer eines Kuvasz setzten uns dann erst mal hin
und schauten ihr zu, wie sie ihr neues Zuhause unter die Lupe nahm.
Schließlich war es dann soweit, Welpe sollte mal vor die Tür. Man kann ja
nicht erwarten, dass so ein junger Hund sofort weiß, wo´s hier lang geht.
Also, zur Leine gegriffen, Klein-Sarah-Kuvasz geangelt und los. Tja, glauben Sie jetzt
nicht, das wäre bei jedem Kuvaszok so - aber bei Sarah war eben alles anders:
Klein-Sarah wollte zwei Stunden zuvor nicht ins Haus, aber ebensowenig wollte sie jetzt
wieder raus. Okay, also wieder mit der Überredungskunst hantiert.
Diese »Nicht-raus«-Nicht-rein«-Phase hat Gott-sei-Dank nur
drei Tage angehalten. Dann war dieses kleine eigenwillige Wesen endlich bereit, ihr
neues Zuhause zu akzeptieren.
Allein in diesem Verhalten kommt der eingangs erwähnte Satz zu seiner Geltung.
»Einen Kuvasz besitzt man nicht...Man lebt mit ihm.« Ein Kuvasz lässt
sich nicht zwingen. Niemals! Wenn er bzw. sie etwas nicht will, dann tut er bzw. sie
das auch nicht. Niemals!
Überredungskunst und Überzeugung sind von uns als »Besitzer«
gefordert. Fantasie und Einfühlungsvermögen. |

|

|
Und so haben wir, Martin und ich, im
Laufe der Jahre gelernt, was es wirklich bedeutet, einen Kuvasz in der Familie zu haben.
Wir möchten sie nicht mehr missen. Sie ist ein wundervolles, sensibles Wesen.
»Draußen« in der Welt, da ist Sarah für alle anderen Hunde die
Chefin. Bei uns ist sie anschmiegsam und kuschelbedürftig. Und je älter sie
wird, um so schmusiger wird sie.
Wir haben lernen müssen, was Herdenschutztrieb bedeutet. Von der Wachsamkeit bei
Einbruch der Dunkelheit, was selbst der sechs Monate alte Jung-Kuvasz Sarah schon in
ausgeprägtem Maße besaß, über das rassetypische Misstrauen allem
Fremden gegenüber. Was ich nicht kenne, ist zunächst mal bedrohlich.
Wir haben gelernt, mit einem »Alphinchen« umzugehen. Sie ist und bleibt
eine sehr dominante Hündin, hat es Gott-sei-Dank nicht nötig, sich zu prügeln
- vielleicht gerade weil alle anderen sie als Chefin akzeptieren. Sie ist eine »Rüdin«
und hebt beim Pieseln immer ein Bein.
Sie ist »anders«. Ich sage immer: »Es gibt Hunde - und es gibt Kuvasz.«
Man muss sie nehmen wie sie sind. Und man kann sie nur liebhaben. Natürlich muss
man schon im Welpenalter klären, wer Zuhause das Sagen hat, aber diese Klärung
haben wir bei Sarah schon im Alter von vier Monaten hinter uns gebracht.
Martin ist Rudelführer und ich darf mich immerhin Unterrudelführerin schimpfen.
Herrchen ist »Gott« und ich bin sein Stellvertreter. |
|
|
Sarah ist jetzt fünfeinhalb Jahre
alt. Okay, sie hat keine Herde, die sie als Herdenschutzhund bewachen könnte.
Auch das Viertausend-Quadratmeter-Grundstück zum Aufpassen fehlt ihr. Aber als
Hundesportlerin sehr aktiv. Und ich glaube, auch sehr glücklich. Sie bereitet
sich derzeit auf ihre »Obedience-Beginner«-Prüfung vor. Und wenn sie
die erst bestanden hat... Wow, was für eine Karriere für einen Kuvasz.
Und wenn wir uns heute Sarahs Welpenfotos anschauen und mit der erwachsenen Dame Sarah
vergleichen, ist da immer wieder dieses unglaubliche Lächeln. Diese strahlenden
braunen Augen, die so sanft, so süß gucken können.
Die »Pudelmütze«, dieser wuschelige Haarschopf, den Klein-Sarah als
Junghund noch besaß, ist nicht mehr da. Dafür besitzt sie diesen typischen
Kuvasz-Charakterkopf mit dem fließenden Stopp und die raumgreifende Eleganz eines
großen gravitätischen Hundes.
Ab und zu packt sie albernes Welpengehabe mit Bocksprüngen und wildem Rumtoben.
Dann wieder ist sie große Dame und baut sich vor einem Schäferhund auf,
plustert ihren Hals auf mit einem »Na, willst Du was?«.
Oder sie breitet sie im Bett aus und lässt sich so richtig durchschmusen.
Sarah ist in unser Leben getreten,
als wir sehr unglücklich waren. Sie hat uns eine Menge Tränen erspart, uns
eine neue Aufgabe gestellt, vor eine neue Herausforderung.
Es war nicht immer ganz einfach. Aber nicht alles im Leben geht immer leicht. Das wäre
ja dann auch irgendwann langweilig.
Einen Kuvasz zu erziehen, ist keine ganz leichte Aufgabe. Wer selbst so ein Alphinchen
zu Hause hat, wird wissen, was ich meine. Aber ich möchte es nicht mehr missen.
Durch Sarah haben wir so viel gelernt.
Davon werde ich Ihnen ein anderes mal erzählen.
Heute genügt es, wenn Sie wissen, dass so ein Kuvasz eine ganz große Liebe
sein kann.
Anette Manzius
Ratingen, März 2003
|
|
|

|
|